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Bene-Gesserit-Axiom
Vom Balkon ihrer Privatgemächer beobachtete Jessica ihre tantenhafte, pausbäckige Hausdame. Im Trainingshof neben dem westlichen Wachhaus redete die Frau atemlos auf Thufir Hawat ein und gestikulierte übertrieben mit den Händen. Beide blickten immer wieder zu ihrem Fenster herauf.
Hält der Mentat mich für strohdumm?
Seit Jessica vor einem Monat nach Caladan gekommen war, hatte man ihr jeden Wunsch mit kühler Effizienz erfüllt. Sie wurde wie ein respektierter Gast behandelt – und keinen Deut besser. Thufir Hawat hatte sich persönlich um ihr Wohlergehen gekümmert und sie in den ehemaligen Räumen von Lady Helena Atreides untergebracht. Nachdem sie mehrere Jahre lang versiegelt gewesen waren, hatten sie gut durchgelüftet werden müssen, doch die schönen Möbel, das Bad mit Pool und der Sonnenraum sowie die umfangreiche Garderobe waren viel mehr, als sie benötigte. Eine Bene Gesserit hatte nur wenig Bedarf an Komfort und Luxus.
Der Mentat hatte ihr außerdem die übereifrige Hausdame zugeteilt, die sie umflatterte wie eine Motte das Licht und immer wieder neue kleine Aufgaben fand, die sie ständig in Jessicas Nähe hielten. Offensichtlich arbeitete sie als Spionin für Hawat.
Ohne Vorankündigung und ohne Angabe von Gründen hatte Jessica die Frau an diesem Morgen aus ihren Diensten entlassen. Jetzt wartete sie auf die Folgen dieser Entscheidung. Würde der Meister der Assassinen persönlich zu ihr kommen oder einen Vertreter schicken? Würde er ihre implizierte Botschaft überhaupt verstehen? Unterschätzen Sie mich nicht, Thufir Hawat!
Vom Balkon aus beobachtete sie, wie er die Diskussion mit der in Ungnade gefallenen Frau abbrach. Mit sicheren und kraftvollen Schritten entfernte er sich vom westlichen Wachhaus und näherte sich der eigentlichen Burg.
Ein seltsamer Mann, dieser Mentat. An der Mütterschule hatte sich Jessica alles über Hawats Hintergrund eingeprägt, wie er die Hälfte seines Lebens in einem Ausbildungszentrum für Mentaten verbracht hatte, zuerst als Schüler und später als Philosoph und Taktikfachmann, bevor Herzog Paulus Atreides, Letos Vater, ihn kurz nach seinem Amtsantritt gekauft hatte.
Mit Hilfe ihrer Beobachtungsfähigkeiten als Bene Gesserit musterte Jessica den wettergegerbten, selbstbewussten Mann. Hawat unterschied sich von anderen Absolventen der Mentatenschulen, von den introvertierten Charakteren, die vor allzu persönlichen Kontakten zurückschraken. Dieser Mann war tatkräftig und intelligent und dem Haus Atreides auf geradezu fanatische Weise treu ergeben. In seiner Gefährlichkeit ähnelte er dem durch die Tleilaxu verderbten Piter de Vries, doch Hawat war das ethische Gegenteil des Harkonnen-Mentaten. Das alles war sehr ungewöhnlich ...
Natürlich war ihr nicht entgangen, dass auch der alte Meister der Assassinen sie gründlich analysiert hatte, um durch die Abwägung von Daten und Wahrscheinlichkeiten zu Schlussfolgerungen über sie zu gelangen. Hawat konnte in der Tat sehr gefährlich sein.
Alle wollten wissen, warum sie hier war, warum die Bene Gesserit sie ausgesucht und nach Caladan geschickt hatten und was ihr Auftrag war.
Als Jessica ein dumpfes Pochen an der Tür hörte, ließ sie ihren Besucher persönlich herein. Jetzt werden wir sehen, was er zu sagen hat. Genug gespielt.
Hawats Lippen waren feucht vom Sapho-Saft, und in den tief liegenden braunen Augen stand Besorgnis und Aufregung. »Bitte erklären Sie, warum Sie mit der Dienerin, die ich für Sie ausgesucht habe, nicht zufrieden sind, Mylady.«
Jessica trug einen lavendelfarbenen Hausanzug aus Soosatin, der die Rundungen ihres schlanken Körpers zur Geltung brachte. Ihr Make-up war minimal, nur etwas Lavendel über den Augen und als Lippenfarbe. Ihr Gesicht drückte Unnachgiebigkeit aus. »Angesichts Ihrer legendären Findigkeit hätte ich von Ihnen deutlich mehr Finesse erwartet, Thufir Hawat. Wenn Sie mich ausspionieren wollen, sollten Sie jemanden mit etwas mehr Geschick einsetzen.«
Ihre offene Antwort überraschte ihn, und er betrachtete die junge Frau nun mit deutlich größerem Respekt. »Ich bin für die persönliche Sicherheit des Herzogs verantwortlich, Mylady. Ich muss alle Maßnahmen ergreifen, die ich zu seinem Schutz für notwendig halte.«
Jessica schloss die Tür, und sie blieben im Eingangsbereich stehen – nahe genug für einen tödlichen Angriff. »Mentat, was wissen Sie über die Bene Gesserit?«
Ein feines Lächeln verzog sein ledriges Gesicht. »Nur das, was die Schwesternschaft Außenstehenden zu wissen gestattet.«
Ihre Stimme wurde eine Spur lauter. »Als die Ehrwürdigen Mütter mich hierher brachten, wurde auch ich zur eingeschworenen Dienerin des Herzogs. Glauben Sie, ich könnte irgendeine Gefahr für ihn darstellen? Dass die Schwesternschaft offen gegen einen Fürsten des Landsraads vorgeht? Ist Ihnen bewusst, dass es in der Geschichte des Imperiums noch nie einen solchen Fall gegeben hat? Weil es Selbstmord für die Bene Gesserit wäre.« Ihre Nasenflügel bebten. »Denken Sie nach, Mentat! Wie lautet Ihre Analyse?«
Nach einem bedrückenden Moment des Schweigens sagte Hawat: »Mir ist kein derartiger Fall bekannt, Mylady.«
»Trotzdem haben Sie mir diese tollpatschige Magd untergeschoben, damit sie mich überwacht. Warum haben Sie solche Angst vor mir? Was befürchten Sie?« Sie verzichtete darauf, die Stimme einzusetzen, was Hawat ihr niemals verziehen hätte. Stattdessen fügte sie eine leisere Drohung hinzu. »Ich warne Sie, versuchen Sie nicht, mich anzulügen!« So, jetzt kann er sich den Kopf darüber zerbrechen, ob ich eine Hellseherin bin!
»Ich muss mich für diese Indiskretion entschuldigen, Mylady. Vielleicht war ich ein wenig ... übereifrig in meinem Bemühen, den Herzog zu beschützen.« Sie ist eine starke junge Frau, dachte Hawat. Dem Herzog hätte Schlimmeres widerfahren können.
»Ihre Ergebenheit ist bewundernswert.« Jessica bemerkte, dass ein sanfterer Ausdruck in seine Augen getreten war, doch es war keine Furcht, sondern nur etwas mehr Respekt. »Ich bin erst seit kurzem hier, während Sie den Atreides bereits seit drei Generationen dienen. Am Bein haben Sie eine Narbe, die Ihnen ein salusanischer Stier zufügte, als Sie den alten Herzog beschützen wollten, nicht wahr? Für Sie ist es nicht leicht, sich auf neue Dinge einzustellen.« Sie wich einen winzigen Schritt vor ihm zurück und ließ eine Spur von Bedauern in ihren Tonfall einfließen. »Bislang hat Ihr Herzog mich eher wie eine entfernte Verwandte behandelt, aber ich hoffe, dass er in Zukunft nicht mehr so viel Missfallen an mir haben wird.«
»Er hat überhaupt kein Missfallen an Ihnen, Mylady. Aber er hat sich bereits Kailea Vernius als Lebensgefährtin erwählt. Sie ist die Mutter seines Sohnes.«
Jessica hatte nicht lange gebraucht, um festzustellen, dass es in dieser Beziehung zu Reibungen gekommen war. »Ich bitte Sie, Mentat, sie ist weder seine gebundene Konkubine noch seine Ehefrau. In jedem Fall hat er kein Geburtsrecht auf den Jungen übertragen. Welchen Schluss können wir aus diesem Tatbestand ziehen?«
Hawats Haltung versteifte sich, als wäre er beleidigt worden. »Leto hat von seinem Vater gelernt, nur dann zu heiraten, wenn es dem Haus Atreides einen politischen Vorteil verschafft. Er hat viele Angebote aus dem Landsraad erhalten, aber er hat sich noch nicht für die beste Partie entschieden ... obwohl er darüber nachdenkt.«
»Dann soll er weiter nachdenken.« Jessica gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass das Gespräch beendet war. Sie wartete, bis er sich zum Gehen gewandt hatte, dann fügte sie hinzu: »Bis dahin, Thufir Hawat, wäre es mir lieber, wenn ich meine Hausdamen selbst aussuchen darf.«
»Wie Sie wünschen.«
Nachdem der Mentat gegangen war, analysierte Jessica ihre Situation, allerdings mehr unter langfristigen Aspekten als denen ihrer aktuellen Mission für die Schwesternschaft. Mit den Verführungstechniken der Bene Gesserit konnte sie ihre Attraktivität verstärken. Leto war jedoch ein stolzer und eigensinniger Mann. Wenn er ihre Absichten erriet, würde er ihr den Versuch der Beeinflussung übel nehmen. Nichtsdestotrotz hatte Jessica eine Aufgabe zu erfüllen.
Sie hatte bemerkt, dass er sie in manchen Momenten mit Schuldgefühlen in den Augen betrachtete – insbesondere nach Auseinandersetzungen mit Kailea. Doch wenn Jessica versuchte, diese Momente auszunutzen, zog er sich jedes Mal vor ihr zurück.
Und es war auch nicht hilfreich, in den ehemaligen Gemächern der Lady Helena zu wohnen. Leto suchte diese Räume nur ungern auf. Seit dem Tod von Paulus Atreides war die Beziehung zwischen Leto und seiner Mutter von äußerster Feindseligkeit geprägt. Helena hatte sich in eine abgelegene religiöse Einsiedelei zurückgezogen, um ›sich auszuruhen und zu meditieren‹. Für Jessica klang das nach einer Verbannung, aber sie hatte bei ihren Nachforschungen keinen Hinweis auf einen möglichen Grund entdeckt. Solange sie in diesen Zimmern wohnte, würde eine emotionale Barriere zwischen ihnen stehen.
Leto Atreides war zweifellos ein attraktiver Mann, und Jessica hätte keine Probleme, ihn als Partner zu akzeptieren. Wenn sie ehrlich war, begehrte sie ihn sogar. Sie tadelte sich jedes Mal, wenn sie solche Anwandlungen erlebte – was viel zu häufig geschah. Sie durfte sich nicht von Gefühlen irritieren lassen; Liebe war für die Bene Gesserit tabu.
Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, rief sie sich ins Gedächtnis. Jessica blieb nichts anderes übrig, als auf den richtigen Zeitpunkt und die richtige Gelegenheit zu warten.